Wie alles begann …
Als ich irgendwann Ende 2021 oder Anfang 2022 zu dieser Arbeitsgruppe stieß, deren Aufgabe es war, das Jubiläumsjahr inhaltlich und – soweit dies ehrenamtlich möglich war – auch organisatorisch vorzubereiten, erschien mir das Kernstück des Jubiläums, ein ganztägiges Orchesterfest mit mehreren Konzerten in der Elbphilharmonie Hamburg, bereits als »in Stein gemeißelt« feststehend. Natürlich noch weit entfernt davon, einerseits eine Zusage des Hauses oder andererseits eine handfeste Idee, wie das finanziert werden kann, zu haben, machte auch ich mich mit daran, das Ganze in die Tat umzusetzen. Drei Konzerte mit sechs verschiedenen Orchestern, je eins pro Konzerthälfte, an einem Tag sollten es werden. Zwei davon waren, da bestand innerhalb der AG Einigkeit, von vornherein gesetzt: das Bundesamateurorchester und ein Jugendorchester des norwegischen Partnerverbandes, der im selben Jahr sein 50-jähriges Bestehen feierte. Die anderen vier sollten bundesweit aus interessierten Mitgliedsorchestern ausgewählt werden. Also: Orchester angeschrieben und Bewerbungen gesichtet. Natürlich haben sich auch einige der Orchester beworben, in denen einzelne Mitglieder der AG mitspielen. Um ein »G’schmäckle« bei den unvermeidlich anstehenden Entscheidungen von vornherein zu vermeiden – schließlich haben sich erwartungsgemäß deutlich mehr als vier Mitgliedsorchester darum beworben, an diesem hochattraktiven Konzertort zu musizieren – wurde eine externe Fachjury berufen, diese Auswahl vorzunehmen. Deren Mitglieder waren erstaunlich schnell gefunden, eine erste einführende Beratung hat stattgefunden – mit anderen Worten: Es ging voran!
Etliche Beratungen der Arbeitsgruppe und des BDLO-Präsidiums, das die Jubiläumsvorbereitungen auch jedes Mal mit auf seiner Tagesordnung hatte, später – wir schreiben inzwischen das Jahr 2023 und das Jubiläumsjahr rückte näher – und vor allem nach einem Vor-Ort-Termin in der »Elphi«, von der wir inzwischen die Zusage für unseren Wunschtermin erhalten hatten, wurde allmählich klarer, dass ein ganztägiges Orchesterfest mit mehreren Konzerten nicht wirklich realisierbar sein wird. Neben der sich immer deutlicher abzeichnenden Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Ressourcen, nicht nur der finanziellen, sondern besonders auch der personellen, waren es gerade auch die speziellen Erfordernisse und Bestimmungen in der Elbphilharmonie, die uns letztlich die Entscheidung zugunsten nur eines Festkonzertes dort treffen ließ. Eine, im Rückblick betrachtet, absolut richtige Entscheidung zum gerade noch richtigen Zeitpunkt!
Ein Festkonzert in der »Elphi«, das einhundert Jahre organisierte Amateurmusik feiert, ist ansich schon »ganz großes Kino«! Aber warum nur in Hamburg und nicht in der ganzen Bundesrepublik feiern, habe ich mich immer wieder gefragt – es ist doch schließlich ein Bundesverband! Und andererseits: Was hatte die Orchester motiviert, sich dafür zu bewerben? Sicher, weil sie die Chance sahen, einmal in diesem Konzertsaal, der wie kaum ein anderer eine ganz besondere Anziehungskraft auf Musizierende ausübt, zu spielen. Aber ganz gewiss auch, weil Amateurorchester auch einmal auf Konzertreise gehen wollen, das treue Publikum hingegen eher »ortsfest« ist, und weil sich mit der vom BDLO organisierten Veranstaltung die Hoffnung verband, in einer anderen Stadt – in der man ja weitgehend unbekannt ist – dennoch vor möglichst vollem Hause musizieren zu können.
Die neue Idee
Zum Reisen motivierte Orchester und das Jubiläum des Bundesverbandes: Da lässt sich doch was daraus machen, dachte ich mir und sprach meine Idee mit den Begegnungskonzerten aus: Zwei Orchester aus unterschiedlichen Orten musizieren in jeweils einer Hälfte der Konzerte in den beiden Orten und besuchen so einander gegenseitig. Das reisende Orchester profitiert damit vom Stammpublikum des gastgebenden Orchesters, die bundesweite Verbindung der Orchester im BDLO wird in einem kleinen Ausschnitt erleb- und das Jubiläum noch stärker bundesweit wahrnehmbar. »Super Idee«, rief Evelyne Kuss »wollen wir das zusammen machen?« Wir, das ist auf Evelynes Seite das Orchester Berliner Musikfreunde und meinerseits das Dresdner Orchester »medicanti«. Beide Ensembles, das wussten wir voneinander, hatten sich für Hamburg beworben. Der Rahmen war schnell abgesteckt: Das gastgebende Orchester ist jeweils Veranstalter mit allen daraus resultierenden Rechten und Pflichten, das reisende Orchester trägt seine Reisekosten selbst – das war’s auch schon. Mussten nur noch Konzertsäle gefunden werden. Da hat sich dann gezeigt, dass die bereits erwähnte notwendige Entscheidung zwar recht spät, aber gerade noch zur rechten Zeit gefällt wurde. Schnell stand ein Termin für Anfang November im Großen Saal in der Berliner Philharmonie fest und auch für Dresden hat sich mit ein bisschen Glück für Ende September ein geeigneter Konzerttermin im neuen Konzertsaal des Kulturpalastes Dresden finden lassen. Beide Konzerte in relativer zeitlicher Nähe zueinander und noch im Jubiläumsjahr 2024! Perfekt!
Zwei Programme, eine Uraufführung und zahlreiche Gespräche
Das Orchester Berliner Musikfreunde hat sich entschieden, in beiden Konzerten Tschaikowskys Fünfte Sinfonie zu spielen, wir »medicanti« haben zunächst für das Dresdner Begegnungskonzert eine besonders kontrastreiche musikalische Begegnung ausgewählt: Mit der 1940 entstandenen Dritten Sinfonie von Florence Price (1887–1953), der ersten Afroamerikanerin, die in den USA als Komponistin klassischer Musik bekannt wurde, und der Uraufführung von »Registrum«, einer Festmusik, die der Berliner Komponist Christian W. Petersen als Wettbewerbsbeitrag für den Kompositionswettbewerb »100 Jahre BDLO« geschrieben hatte. Für unseren Gegenbesuch in Berlin schied Prices Sinfonie aus logistischen und besetzungstechnischen Gründen aus und wir haben dann dort die Achte Sinfonie von Dvořák, die gut anderthalb Jahre zuvor auf dem Programm eines unserer Konzerte stand, gespielt. Zwei »Evergreens« der sinfonischen Romantik, zumal bei Amateurorchestern besonders beliebte, in einem Konzert war sicher kein musikdramaturgischer Geniestreich, dem fröhlich-festlichen Anlass entsprechend aber mehr als angemessen. Schließlich wurde das zweite Begegnungskonzert am 3. November in Berlin vom BDLO-Präsidium zugleich als offizieller musikalischer Abschluss des Jubiläumsjahres auserkoren.
Nun enthält das Wort Begegnungskonzert eben nicht nur Konzert sondern auch Begegnung. Wenngleich recht straffe Zeitpläne bei beiden Terminen besonders dem musikalischen Anteil Rechnung trugen, gab es dennoch wunderbare Momente der Begegnung der Orchestermitglieder beider Ensembles. Etliche Berliner, unter ihnen auch deren Dirigentin Yukari Ishimoto, kamen bereits am Vorabend des Dresdner Konzertes zu uns »an die Elbe«, wo es in einem Restaurant nicht nur zu essen und zu trinken gab, sondern auch sogleich herzliche und intensive Gespräche miteinander. Besonders gefreut hat uns, dass einige unserer Berliner Musikfreunde nach dem Konzert spontan noch zu unserer »Konzertnachbereitung« mitgekommen waren … Da das Berliner Konzert an einem Sonntagvormittag stattfand, sind wir »medicanti« insgesamt bereits am Samstag nach Berlin gefahren und haben dort eine gemeinsame Unterkunft gebucht, in der wir am Abend auch wieder mit einigen Berlinern zusammensaßen. Der Einladung des Berliner Orchesters, auch nach dem zweiten Konzert noch zusammenzusitzen, konnten wir leider nicht folgen, denn wir hatten für unsere Fahrten (Dank Förderung*) zwei Busse gechartert, die dann bereits warteten. Dass die Mitglieder beider Orchester einander jeweils zugehört haben – in beiden Konzertsälen war dafür jeweils ein Bereich im Publikum reserviert – war für alle Beteiligten eine wertschätzende Selbstverständlichkeit, aber an dieser Stelle durchaus erwähnenswert …
Es hat sich gelohnt …
Nach einem Fazit zum Format Begegnungskonzert gefragt, kann ich nur antworten: Es hat sich gelohnt! Nicht finanziell, denn schließlich entstehen – zumindest beim hier beschriebenen Beispiel – dem reisenden Orchester Kosten, denen keine Einnahmen gegenüberstehen. Aber es war gut und im Sinne unseres gemeinsamen schönen Hobbys, dieses Geld zu investieren; und zwar in ein ganz besonderes Erlebnis für unsere Orchestermitglieder, die, so weiß ich es auch vielen Gesprächen im Nachgang, noch lange davon zehren. Auch die Erfahrung zu sehen und zu erleben, wie andere Amateurorchester arbeiten, war eine wertvolle Bereicherung. Immer wieder hieß es in den zahlreichen Gesprächen am Rande: »Wie macht ihr dieses oder jenes …?« – von Anwesenheit (bei den Proben) bis Zugabe wurde zu gefühlt allen Themen, die Amateurmusizierende bewegen, der Austausch gesucht. Einen anderen Aspekt dieses Formates wusste unser Dirigent Wolfgang Behrend sehr zu schätzen: »Es macht einen großen Unterschied zu anderen Konzerten, wenn man sich nur auf ein halbes Programm vorbereiten muss. Ich konnte mit dem Wissen und dem Gefühl, dass wir nicht noch eine zweite Konzerthälfte kräftemäßig durchstehen müssen, eine ganz andere Energie in das Orchester hineingeben und auch zurückerhalten. Ich habe mich in Berlin während des Konzerte so wohl und sicher wie selten gefühlt«. Beides war deutlich hörbar – auch für uns, denn als krönendes i-Tüpfelchen erhielten wir noch am Abend nach unserer Rückkehr eine in vier Tracks geschnittene Aufzeichnung unseres Konzertes aus Berlin – ein ganz wunderbarer Abschluss!
Wiederholungsgefahr 100 Prozent!
»Wann machen wir so etwas wieder?«, war eine der häufigsten Fragen, die ich während der letzten Monate von unseren Orchestermitgliedern erhielt … Gerne wieder mit dem OBM. Aber auch: Nur zu, liebe BDLO-Mitgliedsorchester in Düsseldorf, Essen, Hamburg, Köln, München, Stuttgart und andere, habt ihr Lust, auch mal so etwas auszuprobieren? Wir »medicanti« stehen bereit und würden uns über neue Begegnungen freuen – Dresden mit seinem großartigen neuen Konzertsaal ist schließlich auch immer wieder eine Reise wert!
*) Die Fahrtkosten des Orchesters »medicanti« zum Konzert in Berlin wurden durch den Sächsischen Musikrat gefördert und mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.