Wir sind in der glücklichen Situation, dass wir in einer Kooperation mit einer Dresdner Musikschule sechs MusiklehrerInnen je einmal die Woche beschäftigen können und dass wir über ein gut ausgestattetes Lager an Musikinstrumenten verfügen, welche teilweise über den Verein „Kunst im Gefängnis e.V.“ bezogen wurden. Somit können wir hochwertigen Unterricht in den Bereichen Gesang, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier, Saxophon, Songwriting, Bandprojekte und Recording/Producing anbieten. Die Übergänge zwischen Musikpädagogik und Musiktherapie sind hierbei fließend.
Die meisten Inhaftierten haben trotz ihrer beschädigten Biografien eine große Affinität zu Musik. Sei es die Musik der Heimat/Kindheit, die Musik, die die Adoleszenz begleitete oder bestimmte Titel, die symbolisch für bestimmte biografische Ereignisse stehen. Ältere stehen vielleicht mehr auf Rockmusik oder Schlagermelodien, Jüngere mehr auf Rap/Hiphop oder elektronische Musik, aber Musik an sich erreicht fast jedes Herz auf eine subtile, aber kräftige Art und Weise.
Die Möglichkeit, hier selbst aktiv zu werden, dabei begleitet und unterstützt zu werden, wachsen und sich entwickeln zu können, ist gerade in der Anonymität und Fremdbestimmung des Vollzugsalltages von enormer individueller Bedeutung.
Allerdings haben es kreativtherapeutische Angebote im Vollzug nicht immer leicht: Disziplinarmaßnahmen, Konflikte mit anderen Inhaftierten, vollzugliche Termine und Abläufe, akute psychische und teilweise psychotische Krisen unterbrechen immer wieder die Prozesse. Hinzu kommt der logistische Aufwand des Registrierens, des Verleihens und der Wartung von Instrumenten, sowie die Organisation von Übezeiten, welche zumindest anfangs auch betreut werden müssen. Viele Inhaftierten sind anfangs hochmotiviert, stolpern aber bereits beim ersten Kieselstein, der ihnen im Weg liegt: Eine verstimmte Gitarre, eine klemmende Klappe am Saxophon, ein dummer Spruch eines Mitgefangenen oder des Personals reicht oft schon aus. Das Scheitern ist vielen vertraut, das Üben am Instrument muss erst geübt werden. Viele Inhaftierte sind misstrauisch, vor allem im Beziehungsbereich und vor allem, wenn es um Kritik geht. Bei manchen stehen akute psychische Probleme derart im Vordergrund, dass wir viel individueller und achtsamer vorgehen müssen. Ich denke hierbei an Inhaftierte, die unter akuten Psychosen leiden. Hier nutzen wir mehr das therapeutische Potential bestimmter Instrumente und Klänge, um diese Menschen zu stabilisieren und Stück für Stück eine Kommunikation aufzubauen. Das findet dann meist im Einzel-Setting und in enger Absprache mit der jeweiligen Abteilung statt.
Im Musikunterricht lernen die Inhaftierten persönliche Probleme von technischen Problemen am Instrument zu trennen. Die Situation, dass der Unterricht ohne Leistungsdruck angelegt ist, dass die Lehrenden eine Menge Geduld und Erfahrung mitbringen, die weit über die Kompetenz eines klassischen Instrumentallehrers hinausgehen, ist von größter Bedeutung.
Dadurch geschehen auch Überraschungen, denn vielen Inhaftierten gelingt es in diesem Setting einen Entwicklungsprozess zu starten, von dessen Kraft sie vorher noch nichts ahnten. Nach den Grundschritten am Instrument gibt es die Möglichkeit, diese Fortschritte in Form von kleinen Auftritten zu präsentieren. Es gibt Bandprojekte, teilweise mit selbst geschriebenen Songs. Wir können Aufnahmen machen, diese selbst produzieren und kleine Musikvideos drehen. Alles mit viel Herzblut und Hingabe.
Die Inhaftierten erfahren dabei, was alles entstehen kann, wenn man sich von den belastenden Alltagsproblemen nicht lähmen lässt, wenn diese Probleme nicht alle Bereiche der eigenen Existenz blockieren. Dass sie dennoch innerlich wachsen und sich entwickeln können. Das ist für einen drogenabhängigen, traumatisierten Inhaftierten eine völlig neue Erfahrung.
Dennoch bleibt auch bei uns die Zeit nicht stehen. Einerseits setzen erforderliche Einsparungen im Haushalt der kreativtherapeutischen Arbeit Grenzen. Andererseits gilt es, die kreativtherapeutische Arbeit als Teil modularer Behandlungsmaßnahmen noch stärker in die Behandlungsmodule der Vollzugsabteilungen zu integrieren, als dies in der vom sächsischen Justizvollzug begonnenen Einführung bisher der Fall war. Diese Entwicklung gilt es als wichtige Chance für unsere Arbeit zu begreifen, bei der wir darauf achten müssen, dass das Potential der Musik nicht verloren geht. Denn gerade die musikalische Arbeit schöpft ihre Kraft aus der bereits vorhandenen, intrinsischen Motivation der Inhaftierten: „Ich wollte immer schon mal Schlagzeug lernen.“– „Wir haben ne Gitarre zuhause, die keiner nutzt, obwohl mich das eigentlich interessiert.“– „Bei Andrea Berg muss ich weinen.“– „Ich will Rap und HipHop machen, weiß aber nicht wie.“ Diese intrinsische Motivation und das Potential der Musik zu bewahren und gleichzeitig zu berücksichtigen, dass Resozialisierung und Behandlung aus vielen Bausteinen besteht, die ineinander greifen müssen und sich gegenseitig in positiver Weise verstärken, darin liegt wohl für uns in den kommenden Jahren die große Herausforderung.
Es ist erstaunlich, dass alle Kulturen auf dieser Welt ihre eigene Musik entwickelt und spirituell aufgeladen haben. Klänge, Rhythmen, Gesänge oder auch Tänze scheinen tiefe Effekte auf soziale Identifikationsprozesse und psychische Stabilität zu haben. Auch wir begegnen dieser Harmonie beim gemeinsamen Musizieren. Wir hören zu und werden gehört. Wir werden verletzlich und helfen einander. Wir machen Fehler und korrigieren sie, übernehmen Verantwortung. Die Inhaftierten erfahren Selbstwirksamkeit, Anerkennung und ein großes Wohlbefinden. Wenn es um die Behandlung einer Drogenproblematik oder einer Traumatisierung geht, sind dies erhebliche Schritte, wieder Herr über sich selbst zu werden. Die Musik kann diesen Prozess wesentlich unterstützen – insbesondere wenn sie sich selbst als Teil eines Orchesters eines interdisziplinären „Resozialisierungskonzerts“ versteht, in dem unterschiedliche Instrumente harmonisch zusammenspielen und ihr Bestes geben.
Ich kenne viele ehemalige Inhaftierte, die es nach der Haft geschafft haben, ein verantwortliches und straffreies Leben zu leben, viele davon haben sich im Vollzug intensiv mit Musik und sich selbst auseinandergesetzt, manche tun dies auch heute noch.
Anmerkung der Redaktion: Alfred Haberkorn arbeitet seit 1999 als Kunst- und Musiktherapeut in der JVA Zeithain. Er hat das Kreativzentrum der JVA Zeithain aufgebaut und ist seit 2008 dessen Leiter.




