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Allgemein, Festschrift BDLO100 2024

Verstrickungen – Zur Amateurmusik im Dritten Reich

Joachim Conradi
26. Mai 2025
Titelbild: Die Titel sprechen für sich... Noten als zeitgeschichtliche Dokumente im BDLO-Notenarchiv
© Heike ­Neubauer-Antoci
Vorbemerkung
Es gibt keine zusammenhängende Darstellung der Amateurmusik in den Jahren 1933–1945. Die vorhandenen Publikationen beziehen sich fast ausschließlich auf Berufsorchester sowie auf Dirigenten, Komponisten und andere Persönlichkeiten der Musikkultur, sowie auf Sonderthemen wie »Entartete Musik« oder Musik in Konzen­trationslagern. Das nach wie vor als Standardwerk anzusehende Taschenbuch »Musik im NS-Staat« von Fred K. Prieberg widmet der Laienmusik gerade acht von mehr als 400 Seiten, davon die meisten dem Deutschen Sängerbund. Andererseits findet sich ein reichhaltiger Quellenschatz in den Archiven oder Festschriften der damals bestehenden Vereine, auch in vielen Stadt- und Verbandsarchiven. Diese Zersplitterung und Kleinteiligkeit steht einer Gesamtschau im Wege, die nun – mehr als 80 Jahren danach – ohnehin kaum noch zu erwarten ist.

In der BDLO-Festschrift von 1999 hat Wolfgang Schäfer unter dem Titel »Liebhaberorchester in der Reichsmusikkammer« dieser Zeit eine ausführliche Darstellung gewidmet. Sie befasst sich mit der Organisation der Reichsmusikkammer und den von ihr verwalteten Fachgruppen der Amateurmusik, enthält jedoch kaum Details aus der »unteren« Ebene, also von den Vereinen selbst, ihren Problemen und ihrer Stellung zum Regime. Mit dieser Darstellung wollen wir uns ein Stück auf diesen Weg begeben. Vorab ein paar bisher nicht bekannte Tatsachen über den damaligen BDLO-Vorläufer, den »Reichsbund Deutscher Orchestervereine« (RDOV), sowie eine zusammenfassende organisatorische Übersicht.

Der Dachverband der Liebhaberorchester 1933-1945
Zum Schicksal des »Reichsbunds Deutscher Orchestervereine« (abgekürzt RDOV), wie der Vorläufer des BDLO bei der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hieß, gibt es keinerlei offizielle Erkenntnisse. Derjenige, der davon gewusst haben muss, nämlich der ab 1929 amtierende Vorsitzende Dr. Georg Mantze, hat sich widersprüchlich geäußert. Bei seinem Entnazifizierungsverfahren 1946 hat er zu Protokoll gegeben, der Reichsbund sei 1934 »verboten« worden. In seinem Beitrag »Werden und Wesen des Bundes Deutscher Liebhaberorchester« (in Das Liebhaberorchester, 13. Jahrgang, Heft 3, September 1965) findet sich der folgende merkwürdige Satz: »Der Bund verfiel als solcher der Auflösung und wurde als Fachgruppe I der Fachschaft Volksmusik der damaligen Reichsmusikkammer angegliedert.« Verbot, Auflösung, Angliederung – was davon ist richtig? Wolfgang Schäfer hat in der BDLO-Festschrift 1999 zutreffend darauf hingewiesen, dass im April 1933 noch »völlig unbeeinflusst« turnusgemäß ein Heft der Verbandszeitschrift mit u.a. Beiträgen jüdischer Autoren erschien, setzt dann aber abschließend hinzu: »Mit diesem Heft allerdings bricht die Folge ab.«

Eine Protokollnotiz des Orchestervereins Kempten führt etwas weiter:
»Protokoll über die ausserordentliche Mitgliederversammlung am 11. September 1933 […]
Tagesordnung: 1. Gleichschaltung, 2. Dringende Vereinsangelegenheiten.
Punkt 1 Der 1. Vorsitzende verliest zunächst ein Schreiben des R.D.O.V. Berlin vom 20. Juli 1933, wonach den Bundesvereinen zur Bedingung gemacht wird:
a) ihre Vorstände, soweit das nicht bereits geschehen ist, ebenfalls im Sinne des neuen Staates sobald als möglich umzubilden und von der vollzogenen Tatsache dem Bundesvorstand über die Geschäftsstelle Mitteilung zu machen;
b) bei Neuaufnahmen von Mitgliedern das arische Prinzip zu beachten.«
Daraus lässt sich entnehmen, dass im Herbst 1933 der Reichsbund Deutscher Orchestervereine noch aktiv und auf die nationalsozialistische Linie eingeschwenkt war. Wie es weiterging, könnte sich aus dem Vereinsregister ergeben. Der ursprüngliche 1924 gegründete »Bund Deutscher Orchestervereine« war weder eingetragen noch für eine Eintragung vorgesehen. Erst nach der Umbenennung in »Reichsbund deutscher Orchestervereine« sah die Neufassung der Satzung vom 27.01.1929 in § 2 die Eintragung als e.V. und als festen Sitz Berlin vor. Eine Anfrage an das Landesarchiv Berlin nach einer Eintragung des »Reichsbundes« in der Zeit ab 1929 wurde allerdings mit einer Fehlmeldung beantwortet. Es gibt in den Berliner Vereinsregistern keinen Eintrag des Reichsbundes Deutscher Orchestervereine e.V.! Daraus lässt sich folgender Schluss ziehen: Der Reichsbund ist gar nicht eingetragen gewesen, konnte/musste also weder verboten noch aufgelöst noch angegliedert werden, sondern verschwand stillschweigend. Etwas spekulativ ist dieser Befund schon, aber er könnte erklären, warum der Vorsitzende Dr. Mantze in der Verwaltungshierarchie der Bundesmusikkammer praktisch von Anfang an eine leitende Position einnehmen konnte: (Noch) kein Parteimitglied, aber ein erfahrener und nicht durch sentimentale Auflösungsszenarien belasteter Amateurmusik-Fachmann.
Allerdings tauchte im Frühjahr 1934 ein »Bund Deutscher Laienorchester – Fachschaft I des Reichsverbandes für Volksmusik e.V. in der Reichsmusikkammer« (abgekürzt BdL) auf, dessen Anschrift die des RDOV-Vorsitzenden Dr. Mantze war und der für Streich- und Symphonieorchester zuständig war. Aus den Begleitinformationen – siehe weiter unten – ergibt sich kein Zusammenhang mit dem RDOV. Warum hat Mantze nicht den RDOV in die Reichsmusikkammer eingebracht? Die wahrscheinlichste Antwort: Der Vorstand des RDOV hätte einer Überführung in die nationalsozialistisch ausgerichtete Kultur-Hierarchie kaum geschlossen zugestimmt, mindestens hätte es langwierige und quälende Diskussionen hierüber gegeben. Eine solche Zerreißprobe ist unserem Verband – dank Mantze? – also erspart geblieben.

Einige abschließende Bemerkungen zu Georg Mantze: Er war am 29. September 1929 in Wiesbaden zum Vorsitzenden des RDOV gewählt worden, stieg in der Reichsmusikkammer bis zum Leiter des »Reichsverbandes für Volksmusik auf«, trat 1937 der NSDAP bei und blieb bis zu den Wirren gegen Kriegsende in der Reichsmusikkammer aktiv. Auf seine Tätigkeiten braucht nicht näher eingegangen zu werden, denn sie haben keinen formalen Zusammenhang mit seiner Verbandsführung vor und nach der Nazi-Zeit. Er hatte, juristisch ausgedrückt, für sie kein Mandat seines Reichsbundes. Dass er bei der Gründung des BDLO nach dem Krieg wieder zum Vorsitzenden bestimmt wurde, mag aus heutiger Sicht befremdlich erscheinen, hielt sich damals aber im Rahmen des Üblichen. Bekanntlich sind in der Nachkriegszeit noch viel höhere gesellschaftliche und politische Ämter mit Akteuren des Dritten Reiches besetzt worden.

Organisation der Laienmusik ab 1933
Im Frühjahr oder Frühsommer 1933 – also noch vor der Entstehung der Reichsmusikkammer – wurde ein »Reichsverband für Chorwesen und Volksmusik« gegründet, mit dem offensichtlichen Zweck, die durch Verbot oder Selbstauflösung der überkommenen Dachverbände wegfallenden Bündelungen der Laienvereine zu ersetzen. Dieser kaum länger als ein Jahr bestehende Verband wurde 1934 teilweise ersetzt durch den »Reichsverband für Volksmusik«, der als »Fachschaften« die wohl noch bestehenden Harmonika-, Zither- und Zupfverbände sowie einen von Georg Mantze geleiteten »Bund Deutscher Laienorchester« aufnahm. Letzterer war zuständig für die vorher im RDOV organisierten Liebhaberorchester sowie für die offenbar »heimatlos« gewordenen und schon damals sehr zahlreichen Blasorchester. Näheres über seine Entstehung und Struktur ist nicht bekannt. Es kann ausgeschlossen werden, dass das Präsidium des RDOV diesen neuen Verband in irgendeiner Weise legitimiert hat, denn er wird v.a. in der Nachkriegsdiskussion von keinem der ehemaligen Präsidiumsmitglieder erwähnt und ist bereits 1935 wieder in der Versenkung verschwunden. Es scheint so zu sein, dass es sich – was damals nicht selten war – um einen in der Realität gar nicht vorhandenen Phantom- oder Briefkasten-Verband gehandelt hat, der allerdings über eine Postanschrift – die des letzten Vorsitzenden des »Reichsbundes Deutscher Orchestervereine«, Georg Mantze – und sogar über ein Postscheckkonto (nicht mit dem des RDOV identisch) verfügte.

Bereits Anfang 1935 wurde eine »Neugliederung« der Fachschaften vorgenommen, wodurch Blasmusikvereine und Liebhaberorchester getrennt wurden. Der Terminus »Liebhaberorchester« statt Laienorchester taucht in diesem Zusammenhang erstmals auf, dürfte von Mantze eingeführt worden sein, der als »Hauptschriftleiter« der ab Dezember 1934 erscheinenden »Zeitschrift Deutscher Liebhaberorchester – Amtliches Organ des Bundes deutscher Laienorchester, Gruppe Norddeutschland, im Reichsverband für Volksmusik e.V. der Reichsmusikkammer« genannt war. Den »Bund Deutscher Laienorchester« gab es ab dem Frühjahr 1935 nicht mehr, auch der »Reichsverband für Volksmusik« verschwand 1935 als offizieller Träger der Fachverbände, stattdessen hieß es »Fachgruppe der Fachschaft Volksmusik in der Reichsmusikkammer«. Es gab sieben Fachgruppen, deren Nr. 1 die »Liebhaberorchester«, Nr. 2 die Blasmusikvereine waren, es folgten als Fachschaften III bis VIII Evangelische Posaunenchöre, Handharmonikavereine, Mundharmonikavereine, Konzertina- und Bandoneon-Vereine, Mandolinen- und Gitarrenvereine sowie Zithermusik-Vereine. Die »Fachschaft Volksmusik« war Teil des »Amtes für Chorwesen und Volksmusik«, eine von drei Fachabteilungen der Reichsmusikkammer, in denen außerdem die Berufsmusiker und die Musikwirtschaft zusammengefasst waren. Unabhängig von den Fachabteilungen existierte eine »Regionale Verwaltung« in der Reichsmusikkammer mit Landesleitungen in den einzelnen Gauen, Kreis- und Ortsmusikschaften, Nebenstellen, Städtischen Musikbeauftragten und Kreismusikbeauftragten.

Es nimmt nicht wunder, dass in Anbetracht der verwirrenden Zuständigkeiten u.a. ständig Anschriftenlisten der »zuständigen« Stellen veröffentlicht wurden. So hatten die Beitragszahlungen auf ein Konto der jeweiligen Fachgruppe zu erfolgen, Konzertprogramme sollten/mussten nicht nur an die zuständige Fachschaft, sondern auch an das Presseamt der Reichsmusikkammer und an die Stagma (= Vorläufer der GEMA) geschickt werden, öffentliche Aufführungen waren von der örtlichen Musikerschaft zu genehmigen, und wo eine solche nicht bekannt war, sollte bei der zuständigen »Landesleitung der Reichsmusikkammer« nachgefragt werden. Dann gab es »Landschaftsleiter der Fachschaft Volksmusik« sowie mit diesen nicht identische Landschaftsleiter des »Bundes deutscher Laienorchester«. Ihre Zuständigkeiten lassen sich den vorhandenen Unterlagen nicht entnehmen – vermutlich waren ihnen nur beratende Funktionen zugedacht.

Die »Zeitschrift Deutscher Liebhaber-Orchester« erschien ab Dezember 1934. Sie enthielt neben Fachaufsätzen Beiträge zur neuen Organisation der Laienmusik sowie »Amtliche Mitteilungen« mit nicht enden wollenden Belehrungen zu Beitrags- und Meldepflichten, zum Verhältnis von Berufs- und Laienmusikern und zur Einhaltung des Dienstweges bei Meldungen und Beschwerden. Sie wurde ab Anfang 1936 durch die Monatsschrift »Die Volksmusik« ersetzt, die ebenfalls zunächst von Mantze betreut wurde und bis 1944 erschien.

Den Vereinen wurde zur Pflicht gemacht,
• die Aufnahme in die Reichsmusikkammer zu beantragen;
• Änderungen in der Vereinsführung, der Mitgliederzahl und der künstlerischen Leitung zeitnah mitzuteilen;
• sämtliche Konzertveranstaltungen zu melden (für deren Genehmigung die örtlichen Behörden zuständig waren);
• für Veranstaltungen gegen Entgelt gesonderte »Tagesausweise« zu beantragen, und zwar sowohl für den Verein als auch für jeden mitwirkenden Spieler;
• Presseveröffentlichungen – auch »Pressenotizen« – von der Reichsmusikkammer genehmigen zu lassen;
• vierteljährlich Beiträge zur Reichsmusikkammer zu entrichten.

Für den Fall der Nichtbefolgung dieser Pflichten wurde immer wieder die Verständigung der örtlich zuständigen Polizei angedroht. So heiß gegessen wie gekocht wurde das allerdings nicht. Die vorgeschriebenen Maßnahmen kamen vermutlich kaum über Anfänge hinaus. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte die »Konkurrenz« einer Vielzahl kulturbeflissener NS-Organisationen gewesen sein, die oftmals nicht nur gegeneinander arbeiteten, sondern auch die von der Reichsmusikkammer betriebene Überreglementierung mehr oder weniger offen ignorierten. Der damals selbstverständliche, heute kaum noch vorstellbare Hintergrund: Keine öffentliche Veranstaltung konnte ohne den Segen der örtlichen Leitungs- und Polizeibehörden stattfinden, ausgenommen davon waren höchstens solche in kirchlicher oder betrieblicher Regie. Kein Wunder also, dass sich die Musikvereine freiwillig oder auf nur sanften Druck hin einer NS-Veranstalterorganisation zuwandten, von der sie dann mehr oder weniger intensiv vereinnahmt wurden. Zu nennen sind hier vor allem die Freizeit-Organisation »Kraft durch Freude« der mächtigen »Deutschen Arbeitsfront«, der schon in der Weimarer Zeit bestehende »Kampfbund für Kultur« – später NS-Kulturgemeinde – , die SA, die Hitlerjugend, SS und Wehrmacht, nicht zuletzt örtliche und regionale Kulturbünde sowie entsprechende Aktivitäten der NS-Gauleitungen.

Ein weiterer, wohl schwerer wiegender Grund für die Ineffektivität der NS-Steuerungsversuche in der Amateurmusik: Das Prinzip der Freiwilligkeit. Es gab keine Kommandostrukturen und Abhängigkeiten, die die neuen Machthaber nutzen konnten. Ein Sänger oder Spieler, der sich in seinem Verein nicht mehr wohlfühlte, blieb einfach weg – und anders als bei seinen Berufs-Kollegen gab es keine Möglichkeit, ihn zur Rückkehr zu bewegen. Den NS-Funktionären, die das anfangs ignorierten, blieb letztlich nichts anderes übrig, als die Vereine sich selbst zu überlassen – oder ihnen jede Aktivität zu untersagen, was jedoch dem Interesse der Reichsmusikkammer zuwiderlief.

Robert Ley – Chef der »Deutschen Arbeitsfront« – beklagte noch im Jahr 1941 das »Chaos der vielen Laienverbände«. 1942 kam es dann zu einer Strukturanpassung. Ein »NS-Volkskulturwerk« außerhalb der Reichskulturkammer wurde gegründet. Alle Laienmusikverbände schlossen sich diesem Konstrukt an, auch der »Reichsverband für Volksmusik« mit seinen Instrumentalverbänden. Die Mitgliedschaft im Volkskulturwerk beruhte auf Freiwilligkeit und brachte keine nennenswerten Pflichten mit sich. Die Verbände und Vereine blieben bei der Reichsmusikkammer »organisationspflichtig«, aber das war nach der Umgestaltung wohl nur mehr reine Theorie. (Näheres zu der Entwicklung: Volker Dahm, Nationale Einheit und partikulare Vielfalt in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 43 (1995) Heft 2, sowie sehr eingehend: Rainer Sieb, Der Zugriff der NSDAP auf die Musik. Zum Aufbau von Organisationsstrukturen für die Musikarbeit in den Gliederungen der Partei, Dissertation Osnabrück 2007).

Die Quellen
Für die folgenden Ausführungen wurden die Selbstdarstellungen von insgesamt 96 Musikvereinen (40 Liebhaberorchester, 26 Blaskapellen und 30 Chorvereinigungen) ausgewertet, die vor oder während der Nazi-Diktatur gegründet worden waren. Sie sind den Festschriften oder den Webseiten der betreffenden Vereine entnommen. Die Menge der ausgewerteten Liebhaberorchester kann als repräsentativ betrachtet werden: von etwa 100 existierenden Orchestern reichen die Wurzeln bis mindestens in die 1930er Jahre. Die hinzugezogenen Chöre und Blasorchester stellen dagegen nur Stichproben dar, auch wenn Dokumente von sehr viele mehr Vereinen gesichtet wurden, die aber als nicht aussagekräftig ohne weitere Beachtung blieben.

Die ausgewerteten Texte erschienen zwischen 1970 und 2020. Es liegt auf der Hand, dass sich in diesen 50 Jahren die Autorschaft und die Entfernung zum damaligen Geschehen, folglich auch deren Bewertung, erheblich geändert haben. Es scheint den Trend zu geben, sich mit fortschreitender Zeit intensiver als früher den Details der NS-Zeit zu widmen. Die Autoren der Beiträge bleiben meist ungenannt. Sicher handelt es sich in den wenigsten Fällen um Historiker oder Journalisten. Andererseits konnten sie meist auf Protokolle und Schriftverkehr aus der damaligen Zeit – also auf erstklassiges Belegmaterial – und auf »Zeugenaussagen« damaliger Mitwirkender zurückgreifen.

Die meisten Selbstdarstellungen bieten eine »Chronik« an. Für deren Ausführlichkeit hat sich kein Standard entwickelt. Von einer tabellarisch oder mit nur wenigen Sätzen bzw. Fotos dokumentierten Vergangenheit bis zur über 100 Seiten langen Vereinsgeschichte ist alles vertreten. In knapp gehaltenen Chroniken wird die NS-Zeit also nicht oder kaum erwähnt. Es ist aber festzuhalten, dass diese Zeit in den Chroniken weder über- noch unterdurchschnittlich ausführlich abgehandelt wird. Der bewusste Versuch, Informationen über die »schlimme« Zeit zu unterdrücken oder zu vertuschen, ist nirgendwo festzustellen – das offenbart sich auch in einigen recht euphorischen Darstellungen. Nur ein einziger Verein – eine Blaskapelle – berichtet, dass in den Protokollbüchern von 1933 bis 1945 Seiten fehlten, die »sicherlich herausgerissen« worden seien. Vier von den 40 Liebhaberorchestern und einer von den 56 Chor und Blasmusikvereinen melden den Verlust ihres Inventars durch Kriegseinwirkungen, wobei nicht immer klar ist, ob davon auch das Schriftmaterial betroffen war.

In den Festschrift-Chroniken der 40 seit mindestens 1933 bestehenden Liebhaberorchester erwähnen 27 explizit die Zeit von 1933 bis 1945 mit mehr oder weniger ausführlichen Details. Weitere sieben berichten »neutral«, die Nazi-Herrschaft und ihr Einwirken werden also nicht erwähnt. Vier von diesen sieben vermelden immerhin, dass der Konzert- oder Vereinsbetrieb während der Zeit des 2. Weltkriegs oder z.B. »von 1939 bis 1951« geruht hat. Die restlichen sechs Chroniken enthalten gar nichts über die damalige Zeit.

Bei den Blaskapellen und Chorvereinigungen wurden nur solche in die Auswertung einbezogen, die Aussagen zur NS-Zeit enthielten. Der absolute Anteil der »Nichterwähnungen« kann hier also nicht festgehalten werden. Immerhin haben vier der insgesamt 56 Vereine über die NS-Zeit ohne jegliche Erwähnung der politischen Umstände berichtet. Einer von ihnen erwähnt nur das »Zusammenschmelzen« im 2. Weltkrieg.

Gleichschaltung
Die sog. »Gleichschaltung« haben die meisten Chöre und Orchester erfahren, wenngleich oft nur indirekt über sie berichtet wird. Worin bestand die Gleichschaltung? Vor allem in der Einführung des »Führerprinzips«: Die Mitgliederversammlung wählte einen »Vereinsführer« mit unbefristeter Amtsdauer. Dieser ernannte dann die weiteren Vorstandsmitglieder und bei Bedarf seinen eigenen Nachfolger. Klar war, dass zum Vereinsführer nur jemand bestimmt werden konnte, der die Gewähr dafür bot, dass die nationalsozialistischen Grundsätze im Verein befolgt und gelebt wurden. Um die richtige Wahl zu gewährleisten, war oft ein Vertreter der NS-Partei anwesend und mischte sich in die Prozedur ein, beispielsweise durch Ernennung eines Vereinsführers ohne Mitgliederbeschluss. Gelegentlich haben die externen Aufpasser gefordert, dass der Vereinsführer oder mindestens ein Mitglied des Vorstandes Parteimitglied sein müssen. Wurde dem Verein ein Führer diktiert, machte sich das umgehend im Wegbleiben von Mitgliedern bemerkbar. Später wurde den Mitgliedern oftmals dann doch wieder freie Hand gegeben – sofern die Formation nicht aufgelöst wurde oder wegen Mitgliederschwund zugrunde ging. Mehrere Orchester und Chöre berichten, dass man im Lauf der folgenden Jahre zur demokratischen Struktur zurückkehrte – ein deutliches Indiz dafür, dass die Gleichschaltung nicht auf Dauer kontrolliert wurde.

Fusionen und Verbote
10 der 30 ausgewerteten Gesangvereine mussten sich im Zuge der Gleichschaltung mit anderen Gesangvereinen zusammenschließen, was – mit einer Ausnahme – nur widerwillig geschah. Ein Verein konnte die Fusion »durch geschicktes Taktieren« verhindern, ein anderer lehnte eine Fusion ab und wurde laut Protokolleintrag »aufgelöst«, bestand in der Realität aber ungehindert weiter. In einem weiteren Fall konnten sich die beteiligten Vorstände nicht auf eine Fusion einigen. Einer der beteiligten Chöre wurde daraufhin »verboten«, was die Sänger aber nicht hinderte, sich weiterhin zusammenzufinden, so dass ein Jahr später die »Erlaubnis« zum Weiterbestehen erteilt wurde.

Warum der Zwang zu Fusionen? Die Ortsbehörden wollten möglichst wenig »freie« Vereine unterstützen, auch den Scherereien aus dem Weg gehen, die die Gestellung von Probelokalen und die Veranstaltung öffentlicher Konzerte mit sich brachten. Die Reichsmusikkammer dagegen konnte eine Fusionswelle kaum gutheißen, da dies zu einer Schrumpfung ihrer Klientel führte. Weshalb der Druck auf die Vereine wohl auch bald nachließ. In den folgenden Jahren wurden etliche Fusionen wieder rückgängig gemacht, die meisten aber erst nach dem Ende der NS-Herrschaft.

Bei den – insgesamt weniger zahlreichen – Orchestern und Blaskapellen war der Fusionsdruck naturgemäß geringer. Hier ging die Einflussnahme der örtlichen und regionalen Behörden eher in die Richtung, sich als SA-Kapelle vereinnahmen zu lassen oder der örtlichen NS-Gemeinde – mit entsprechender Umbenennung – beizutreten. Immerhin waren solche Übernahmen meist mit handfesten materiellen Vorteilen – z.B. der Bezahlung des Dirigenten – verknüpft und wurden deshalb nicht selten von den Vereinen begrüßt. Auch solche Verbindungen lockerten sich in den Folgejahren oft wieder. So wird z.B. berichtet, dass

der »NS«-Namens-Zusatz stillschweigend wieder verschwand; oder ein Verein blieb – trotz seiner offiziellen Eingliederung in eine NS-Organisation – in seiner ursprünglichen Form bestehen und aktiv.

Echte Betätigungsverbote gab es in größerem Umfang für Arbeiter-Sängervereine und für der Arbeiterbewegung nahestehende Kapellen und Orchester. In einigen Fällen wird sogar von Zerstörungen des Vereinsinventars berichtet. Die Sänger oder Spieler konnten sich anderen Vereinen anschließen oder musizierten heimlich weiter. Nicht wenige mutierten nach einiger Zeit ohne große Skrupel etwa zu einem »KdF-Orchester«, andere nahmen in Anbetracht des nachlassenden Überwachungsdrucks sogar ihren alten Namen wieder an.

Arisierung I
Die sogenannte Arisierung bestand aus zwei Komponenten. Wir behandeln zuerst die harmlosere Variante, nämlich das Aufführungsverbot von Werken jüdischer Komponisten.Das scheint für die Amateurmusik insgesamt kein großes Thema gewesen zu sein. Nur wenige Vereine berichten von diesem Verbot, ein einziger von der Vernichtung entsprechenden Notenmaterials. Immerhin zwei Liebhaberorchester vermelden aktiven »Widerstand«: Aufführung der Konzertouvertüre »Meeresstille und glückliche Fahrt« von Mendelssohn, im Programm getarnt als die gleichnamige Kantate von Beethoven, und Aufführung von Werken der »leichten Muse« unter dem Namen der – arischen – Bearbeiter. Hierbei soll aus den ersten Zuhörerreihen, in denen die Honoratioren und Parteimitglieder saßen, besonders heftig applaudiert worden sein.

Arisierung II
Nur sechs der 96 gesichteten Vereinschroniken erwähnen den Ausschluss jüdischer Mitspieler bzw. den Zwang in dieser Richtung. Bei einigen weiteren ist nur von ­einem Rückgang der Mitgliederzahl ohne nähere Spezifizierung die Rede, so dass offen bleiben muss, ob der Rassismus dabei eine Rolle spielte. Es fällt auf, dass so gut wie keine Chronik diese »Arisierung« als das wahrnahm, was sie tatsächlich war: nämlich die Zerstörung der überkommenen Mitgliederstruktur. Bestenfalls wird mit leicht bedauerndem Unterton von »Aderlass« oder von »Ausbootung« ­gesprochen.

Für die weitgehende Akzeptanz der Arisierung lässt sich – wenn auch nur im damaligen Kontext – ein Grund finden. Fast vergessen ist, dass sich bereits kurz nach der »Machtergreifung« im Frühjahr 1933 rein jüdische Kulturvereine und schließlich der »Reichsverband jüdischer Kulturbünde in Deutschland« gründeten, und zwar mit tatkräftiger Mithilfe und unter Aufsicht der nationalsozialistischen Ministe­rialbürokratie. 1937 gehörten diesem Verband im ganzen Reich 180.000 Personen als Mitglieder an. Nicht bekannt ist, ob es korporative Mitglieder, z.B. Laienchöre, gab und welche Rolle die Laien innerhalb der einzelnen Bünde spielten. In Konzerten jüdischer Kulturbünde konnten Werke jüdischer Komponisten – mit Genehmigung der Aufsichtsbehörden – aufgeführt werden. Arier im Publikum waren zwar nicht erwünscht, ließen sich aber vor der Einführung des Judensternes kaum unterbinden. Es gab neben jüdischen Chören und Orchestern auch jüdische Theater, in Berlin sogar eine jüdische Oper. Die Oberaufsicht über die Kulturbünde lag bei dem SS-Mann Hans Hinkel, einem engen Vertrauten von Joseph Goebbels, der in dessen Ministerium ein für die »Entjudung« des deutschen Kulturlebens zuständiges Referat leitete. 1939 wurde der Reichsverband jüdischer Kulturbünde aufgelöst, ein Nachfolgeverein konnte in eingeschränktem Umfang noch bis 1941 tätig sein.

Vor diesem Hintergrund mag es plausibel erscheinen, dass der Auszug bzw. das Wegbleiben jüdischer Mitspieler und Sänger kaum das Interesse und die Anteilnahme der verbleibenden Vereinsmitglieder fand – beruhte das jedenfalls für politisch unbedarfte Zeitgenossen doch weitgehend auf Freiwilligkeit.

Zum Abschluss noch zwei Beispiele mit eingehenderen Darstellungen der ­damaligen Geschehnisse.
Der Philharmonische Verein 1834 e.V. in Frankfurt/M feierte 1934 sein hundertjähriges Jubiläum. In der Chronik von 2009 ist zu lesen, dass sich zum Zeitpunkt des Festkonzerts (am 2. Dezember) das Orchester vom Ausschluss der jüdischen Musiker anscheinend erholt hatte. Jedenfalls waren in den überkommenen Namenslisten keine jüdischen Namen zu entdecken. Nur im »Ehren-Ausschuss« – einem Aufsichtsgremium – gab es noch einen Dr. von Weinberg, »der 1942 deportiert wurde und im KZ Theresienstadt umkam«. Zu den Jubiläumsfeierlichkeiten hatte sogar Adolf Hitler telegrafisch Glückwünsche übermitteln lassen.

Aufschlussreicher sind die Vorgänge um den Dirigenten Richard Limpert, der die musikalische Leitung von 1938 bis 1962 innehatte. Limpert leitete zum Zeitpunkt der »Machtergreifung« das Tonkünstler-Orchester in Frankfurt und das städtische Palmengarten-Orchester. Er wurde nun heftigen Anfeindungen ausgesetzt, hauptsächlich weil seine Ehefrau nichtarischer Abstammung war. Das führte letztendlich zur Ehescheidung – bei Mischehen damals nicht selten, nach dem Ende der Nazi-Diktatur erfolgte dann die Wiederverheiratung – aber die Anwürfe ließen nicht nach. Was ihn damals rettete und im Amt hielt, war die Protektion durch den Frankfurter Oberbürgermeister und auch den Musikbeauftragten der Stadt.

Der einzige auffindbare Beitrag, der sich mit dem Verbleib »ausgebooteter« jüdischer Mitspieler befasst, betrifft das Stamitz-Orchester in Mannheim (damals Orchester der Stamitz-Gemeinde). Er entstammt nicht einer Festschrift des Orchesters, sondern einem 1954 erschienenen Büchlein von Wilhelm Herrmann »Musizieren um des Musizierens willen – 125 Jahre Mannheimer Liebhaber-Orchester«. Danach wurde das Orchester 1933 von zahlreichen jüdischen Mitspielern, darunter dem Dirigenten Max Sinzheimer (1894-1977), »gesäubert«. Die übriggebliebenen »arischen« Spieler machten von dem Angebot Gebrauch, in das gerade neugegründete Hochschulorchester in Mannheim einzutreten, wo das Häuflein immer mehr zusammenschmolz. Die jüdischen Mitspieler wurden dagegen in eine jüdische Instrumentalvereinigung überführt, wo sie noch bis 1938 aktiv sein durften. Dem Dirigenten Max Sinzheimer gelang es nach kurzer Inhaftierung im KZ Dachau noch 1939, in die USA auszuwandern, wo er sich als Dozent am Konservatorium in Chicago und auch als Komponist und Dirigent einen Namen machte. Über spätere Kontakte zu seinem früheren Orchester ist nichts bekannt. Immerhin wurde ihm 1952 vom wiedererstandenen Stamitz-Orchester die Ehrenmitgliedschaft verliehen.

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