Diese Bundesmusikwoche 50plus war rein menschlich das Großartigste, was ich in meiner Zeit als BDLO-Geschäftsführer erlebt habe. Ich hatte das Glück von 2006 bis 2014 jeweils im November zehn Tage dieses Projekt auch vor Ort in Marktoberdorf organisatorisch zu leiten. Und dabei habe ich viele wunderbare Menschen kennengelernt, die mit ihrer Liebe zur Musik und der Ernsthaftigkeit, ihr Hobby bis ins hohe Alter zu betreiben, und mit ihrer gegenseitigen Fürsorge für mich Antrieb und bildend waren – allein darüber ließe sich ein ganzes Buch schreiben. Ein tolles Projekt, das Familie Conradi in den 60er-Jahren begründet hatte, das aber niemand in der Politik und den Dachverbänden so recht wahrnahm. Erst als Franz Müntefering von der »Generation 50+« sprach, wurde es modern, Begriffe wie Musikgeragogik zu verwenden. Der Deutsche Musikrat und dann auch die BMCO erfanden dann – Jahre später – mit ähnlich gelagerten Projekten »das Rad« neu. Unsere Ratschläge dazu wurde sanft ignoriert… An dieser Stelle auch mein Dank an Frauke Peuker-Hollmann, die uns viele Jahre unbürokratisch aus Mitteln des Bayerischen Landesverbandes eine wesentliche finanzielle Unterstützung für das Projekt zukommen ließ.
Torsten Tannenberg, Geschäftsführer des Sächsischen Musikrates war von 2005 bis 2017 auch Geschäftsführer des BDLO
Das war eine gute Zeit: Neubeginn, den Blick auf die Kulturszene weiten, neue Kollegen in ganz Deutschland kennenlernen. Rückblickend fragt man sich manchmal, wie haben wir das alles geschafft, so nebenbei? Aber wir, Heike, Matthias und ich, waren ein gutes Team und hatten Erfahrung im Umgang mit Projektarbeit. Insofern war der Beschluss des neu gewählten Präsidenten Helge Lorenz, im Jahr 2004 die Geschäftsstelle aus Nürnberg nach Dresden zu holen, im Nachhinein gut nachvollziehbar und richtig. Wir konnten auf einem soliden organisatorischen und finanziellen Fundament, das Sabine und Joachim Conradi über Jahrzehnte aufgebaut hatten, Neues kreieren und Dinge weiterentwickeln. Mein erster Gedanke war: Verband ja, Projekte ja, aber die Noten-Bibliothek bleibt in Nürnberg. Das war zunächst eine gute Entscheidung, weil wir in einem Ruck gar nicht alles bewältigt hätten und mit Joachim Conradi als dem bisherigen, langjährigen Verbandspräsidenten und BDLO-Notenbibliothekar einen wunderbaren Menschen im Boot hatten, der mit Klugheit, Witz und einer gehörigen Portion Starrköpfigkeit immer der wichtigste, weil in allem sehr versierte Partner für unsere Arbeit war.
Aufgrund personeller Umstellungen war beim Sächsischen Musikrat insgesamt eine halbe Stelle frei geworden, verteilt auf drei Personen: Heike Heinz (Buchhaltung), Matthias Pagenkopf (Projektorganisation/Grafik/Layout) und Torsten Tannenberg (Geschäftsführung/Projektmanagement). Der BDLO nutzte diese einmalige Möglichkeit und gewann für wenig Geld die unterschiedlichen Kompetenzen von drei Menschen mit drei Minijobs hinzu.
Der BDLO stand zu diesem Zeitpunkt an einem kritischen Punkt, da die Kulturstiftung der Länder ihre langjährige Förderung von Geschäftsstelle und Projekten einstellte. Damit blieb uns nichts anderes übrig, als in die Projekte des BDLO neues Leben einzuhauchen und sie »in neue Kleider zu hüllen«. Der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien war nach vielen Gesprächen in Bonn und Dresden bereit, drei Projekte (Bundesamateurorchester, jährlich ein bundesweites Fortbildungsseminar und der Kurs Orchesterdirigieren) ab 2006 zu übernehmen, und das Ministerium mit dem unaussprechlichen Namen BMFSFJ war bass erstaunt über unsere »Bundesmusikwoche 50plus« in Marktoberdorf (bis dahin »Musizieren für Ältere«) – und fortan finanziell dabei.
Das Projekt »Bundesamateurorchester« war zunächst schwierig zu händeln, da die Idee, mit einer stetig neuen Besetzung jährlich zu arbeiten, mit dem Beharrungsvermögen vieler Teilnehmer kollidierte. Meine Entscheidung dann irgendwann, alle Ü70-Teilnehmer nicht mehr einzuladen und stattdessen auf die Bundesmusikwoche 50plus zu verweisen, hat mir damals viel Kritik eingebracht, war aber aus meiner Sicht die einzige Chance, das Projekt langfristig weiterzuentwickeln. Mit u.a. den Dirigenten Alf Ardal, Christian Voß und Joan Pagès hatten wir tolle Projekte und lösten uns langfristig vom Probenort Weikersheim, über Weimar nach Hammelburg, wo das Bundesamateurorchester auch heute noch probt.
Die neue Geschäftsstelle begann ihre Arbeit in Dresden mit der Vorlage eines Wirtschaftsplans auf der Präsidiumssitzung am 12. Februar 2005. In dieser Beratung wurde Chemnitz als Auftragungsort für das 7. Europäische Orchestertreffen vereinbart, welches schon im Mai 2006 stattfinden sollte… Es wurde ein Erfolg: Herzliche Gastgeber vor Ort, hervorragende Bedingungen in der Stadthalle Chemnitz und bezahlbare Hotels blieben für 209 Teilnehmer aus ganz Europa am Ende in guter Erinnerung. Der BDLO zeigte sich als guter Gastgeber.
Die Arbeitsfülle erforderte recht schnell eine klare Aufgabentrennung, wobei mich der große Fleiß aller Präsidiumsmitglieder angenehm überraschte. Michael Goldbach und später Michael Knoch brachten unfassbar viel Zeit und Liebe in unsere Zeitschrift »Das Liebhaberorchester« ein. Joachim Conradi war quasi die Bibliothek, Helge Lorenz der Präsident und »Außenminister« auf europäischer und weltweiter Bühne. Die Geschäftsstelle wurde in den Jahren bis 2010 als Basis mit einem gesunden Haushalt und einem stetigen Strom an Fördermitteln ausgebaut und betrachtete fortan die Einwerbung von neuen Mitgliedern und später die Qualifizierung der Bibliothek als eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft des Verbandes. Wir übernahmen den Verband damals mit 517 Mitgliedsorchestern und als ich Ende 2017 die Geschäftsführung übergab, waren es mehr als 850.
Und es ging immer weiter … Im Januar 2007 legte Matthias Pagenkopf einen modernen Layoutentwurf für die Verbandszeitschrift vor, die fortan von ihm in Dresden layoutet und in Radebeul gedruckt wurde. Ein strenger Kostenplan half uns, die Ausgaben zu begrenzen. Die Redaktion blieb in den Händen von Michael Goldbach, der (nervenaufreibende) Vertrieb von Anzeigen bei mir. Als »Goldstaub« entpuppte sich dann im Jahr 2014 die Entscheidung, Joachim Landkammers wahrhaft köstliche »Typologien der Laienmusiker«, die regelmäßig in der Zeitschrift erschienen waren, in Buchform zu veröffentlichen. Die 1. Auflage von 1.500 Exemplaren war bereits vor Drucklegung verkauft. Der BDLO als Buchverleger – ein Risiko, das sich ausgezahlt hat.
Aber schon winkte die nächste, langfristige Aufgabe: Die technische Sicherstellung des »Nürnberger Katalogs«, also des BDLO-Notenverzeichnisses, und in einem weiteren Schritt die Professionalisierung der Arbeit der Bibliothek, als dem m.E. wichtigsten Standbein des Verbandes. Ideengeber und Antreiber war hier stets Joachim Conradi, der mit seiner Weitsicht diese Notwendigkeit sah und fortan mit uns gemeinsam voranbrachte. Programmierer in Leipzig wurden im Juli 2007 gefunden, und ab diesem Zeitpunkt begaben wir uns auf einen langen Weg, der die BDLO-Bibliothek nach 17 Jahren auf ein hervorragendes Niveau gehoben hat, aber sicherlich, da wird mir meine liebe Kollegin Letizia Turini recht geben, noch lange nicht am Ziel angekommen ist. Zunächst wurde die BDLO-Website modernisiert und Daten eingepflegt, und als ein nächster Schritt folgte die Übernahme eines dBase-Programms in die Neuzeit (für jüngere Leser: dBase war eines der ersten Datenbankverwaltungssysteme und stammt aus den 1960er-Jahren). Diese Übergabe von Joachim Conradi, dem Autor des dBase-Programms, an die »fluffigen« Programmierer in Leipzig war zu begleiten und schlichtweg anstrengend, da Hartnäckigkeit auf »Nicht-zuhören« traf, was manchmal sehr lustig, aber eigentlich ziemlich anstrengend war.
Mit seinem Papier »Projekt Digitale BDLO-Notenbibliothek« vom Januar 2009 »trieb« der Vordenker Conradi »uns vor sich her«. Ideen wurden entwickelt und verworfen, Finanzierungsmodelle gerechnet und gegengerechnet. 2013 erfolgte der Transfer von insgesamt ca. 220 lfd. Metern Noten der beiden Notenbibliotheken aus Nürnberg und Aachen zu einer gemeinsamen Bibliothek nach Dresden. Und die Einstellung von Letizia Turini als BDLO-Bibliothekarin war dann ein weiterer Schritt in Richtung Professionalisierung. Letizia war ein Glücksfall, denn mit ihr hatten wir in der Geschäftsstelle jemanden gewonnen, die half, Datenbank und Notenbibliothek mit großem Engagement voranzubringen.
Ich bedaure jetzt im Nachhinein, dass ich Einladungen zum japanischen Partnerverband nicht eingelöst habe, da mir die Arbeit vor Ort zunächst wichtiger erschien. Aber Helge war hier für uns immer ein guter Vertreter.
Im Jahr 2017 wurde es dann Zeit, eine wohlgeordnete Geschäftsstelle mit einem gesunden Haushalt an die nächste Generation zu übergeben. Ich danke allen für diese 13 tollen Jahre.