Förderung neuer Musik
Mit dem BDLO100-Kompositionswettbewerb sah sich der BDLO einmal mehr einem Anliegen verpflichtet, das von Beginn an eine wichtige Rolle in seiner Arbeit spielte: Die Förderung neuer Musik. Und was zeigte sinnfälliger diesen Schwerpunkt der Verbandsarbeit, als eben ein speziell für den Festtag in Auftrag gegebenen neues Musikstück? Nun lässt sich trefflich darüber streiten, was neue Musik sei, was sie ausmacht und was nicht – allein das Lexikon MGG (Die Musik in Geschichte und Gegenwart) verwendet 47 Spalten auf diesen Begriff (1); in diese Auseinandersetzung wollen wir uns aber für heute nicht begeben. (2)
Vielmehr sollen aus Anlass des Jubiläums einige Belege dafür erbracht werden, wie wichtig dem Verband die Beschäftigung „seiner“ Orchester auch mit zeitgenössischen Kompositionen seit jeher ist. Eine diesbezügliche Fundgrube stellt vor allem unsere Verbandszeitschrift „Das Liebhaberorchester“ dar, die – zunächst unter dem Namen „Der Dreiklang“ – 1926 erstmals herauskam und, mit gelegentlichen Unterbrechungen, bis 2020 in der Regel zwei- oder dreimal jährlich erschien.
Schon in der ersten „vorläufigen Satzung“ wird als eines der Ziele des Verbandes die „Pflege der modernen Musik durch Aufführungen zeitgenössischer Werke“ genannt. (3) Und nach dem 2. Weltkrieg versuchte der damalige Bundesvorsitzende Georg Mantze in den 50er-Jahren „mit der Vergabe von Uraufführungen […] die Liebhaberorchester an die zeitgenössische Musik heran[zu]führen.“ (4)
Auch wurden bei den regelmäßig alle zwei Jahre stattfindenden Bundestagungen immer auch neue Werke aufgeführt. Als Beispiel sei die Tagung in Göttingen angeführt, die vom 1. bis 3. Juni 1956 in der dortigen Universitätsaula stattfand. Bei den drei Konzerten des Treffens standen neben Kompositionen aus Klassik und Romantik folgende Werke auf dem Programm (5):
- Béla Bartók: Divertimento für Streichorchester (1939)
- Werner Henze: Kammerkonzert für Flöte, Klavier und Streicher (1946)
- Arno Knapp: Concertino für Klavier und Streichorchester (1952)
- Philipp Mohler: Nachtmusikanten (1949)
Durchgehend findet man in unserer Verbandszeitschrift „Das Liebhaberorchester“ Besprechungen von Neuerscheinungen, in denen vielfach auch neue Kompositionen vorgestellt werden. Ab 1998 gibt es eine Rubrik „Uraufführungen und besondere Konzerte“ und immer wieder erschienen Artikel, die zur Beschäftigung und Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik ermuntern.
Philipp Mohler: Liebhaberorchester und neue Musik (1. Jg., Heft 2, 1953, S. 20)
Martin Wolschke: Probenarbeit mit neuer Musik (2. Jg., Heft 2/3, 1954, S. 27)
Hilmar Höckner: Erfahrungen beim Spiel neuer „Spielmusiken“ (6. Jg., Heft 1/2, 1958, S. 9)
Willi Wöhler: Der Musikliebhaber und die neue Musk (8. Jg., Heft 1/2, 1960, S. 9)
Everett Helm: Das Dilemma der avantgardistischen Musik (11. Jg., Heft 1/2, 1963, S. 8)
Philipp Mohler: Liebhaberorchester und Musik unserer Zeit (13. Jg., Heft 3, 1965, S. 29)
Ludwig Wismeyer: „Neue Musik“ – Anfang und Ende (14. Jg., Heft 1/2, 1966, S. 1)
Wolfgang Schäfer: Kompositionsaufträge und Kommunikation (16. Jg., Heft 1/2, 1968, S.1)
Siegfried Köhler: Was ist neu an der neuen Musik? (19. Jg., Mai 1971, S. 21)
Dietrich Hilkenbach: Über die Spielbarkeit von Avantgardemusik durch Liebhabermusiker und
Berücksichtigung ungewöhnlicher Notationsformen (Juni 1973, S. 21)
Helmut W. Erdmann: Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Komponist und
Liebhaberorchester (20. Jg., Heft 2, 1976, S. 6)
Klaus Heinrich Stahmer: Avantgarde und Amateure (23. Jg., Heft 1, 1979, S. 8)
Peter Hoch: Interludien – Bericht über eine neue Komposition (26. Jg., Heft 1, 1982, S. 12)
Sieghart Brodka: Liebhaberorchester-Treffen fördert die Neue Musik (30. Jg., Heft 1, 1986, S. 14)
Jürg Baur: Neue Musk für Liebhaber-Orchester (31. Jg., Heft 1, 1987, S. 8)
Willi Wöhler: Neue Musk für Liebhaber-Orchester (32. Jg., Heft 1, 1988, S. 6)
Sigrid Ernst: Eine Komponistin berichtet (33. Jg., Heft 2, 1989, S. 5)
Dietrich Erdmann: Komponist und Liebhaberorchester (34. Jg., Heft 1, 1990, S. 2)
Wolfgang Schäfer: Neue Musik (35. Jg., Heft 1, 1991, S. 10)
Volker Kalisch: Neue Musik für Liebhaberensemble (39. Jg., Heft 1, 1995, S. 6)
Hayo Nörenberg: Zeitgenössische Orchesterwerke aus Skandinavien (41. Jg., Heft 1, 1997, S. 5)
Gerd Kowa: Klanggewordene Lebensentwürfe. Ein Portrait des Komponisten Hanno Haag (45. Jg., Heft 2, 2001, S. 16)
Antje Finkbeiner-Nahl: Praxisnähe und Klangsinnlichkeit. Der Komponist Felix Treiber (48. Jg., Heft 1, 2004, S. 7)
Elisabeth Birckenstaedt: Wie „schlimm“ ist moderne Musik wirklich? (53. Jg., Heft 1, 2009, S. 4)
Joachim Conradi: „Moderne Musik“ in der Aufführungspraxis der Liebhaberorchester (53. Jg., Heft 2, 2009, S. 6)
Thorsten Schmid-Kapfenburg: Ein West-östlicher Divan – Konzertsuite für Ud und Orchester (61. Jg., Heft 2, 2017, S. 25)
1. Beethoven, 1. Sinfonie
2. Schubert, 7. Sinfonie Unvollendete
3. Schubert, 5. Sinfonie
4. Haydn, Sinfonie Nr. 104 Dudelsack/Salomon
5. Beethoven, 2. Sinfonie
6. Mozart, Sinfonie Nr. 29 KV 201
7. Haydn, Sinfonie Nr. 94 Paukenschlag
8. Mozart, Sinfonie Nr. 40 KV 550
9. Mozart, Sinfonie Nr. 35 KV 385 Haffner, gleichauf mit Dvořák, Sinfonie Nr. 9 Aus der Neuen Welt
10. Haydn, Sinfonie Nr. 100 Militär, gleichauf mit Haydn, Sinfonie Nr. 103 Paukenwirbel
Vermutlich hat sich seither die Priorität etwas mehr in den Bereich der Romantik verschoben, aber die Musik der letzten 100 Jahre fristet vergleichsweise wohl immer noch eher ein Schattendasein im Interesse unserer Mitglieder. Das hat vielerlei Gründe, die an dieser Stelle nicht ausgebreitet werden können.
Allen aber, denen die neue Musik (wie auch immer sie sie definieren wollen) am Herzen liegt, sei folgendes Zitat von Paul Hindemith (1895-1963) mitgegeben:
„Wichtig ist immer das, was heute geschieht. Wer sich in die Historie zurückzieht, ist feige. Seine Kraft geht der heutigen Musik verloren, die darum längere Zeit benötigen wird, sich auf eine höhere Stufe zu entwickeln. Nicht alle alte Musik ist gut. Früher hat es auch Schund gegeben. Er sollte heute ebensowenig gespielt werden wie neuzeitlicher Unfug.
Es wäre zu wünschen, daß die Zusammenarbeit zwischen den produzierenden Musikern und den konsumierenden Laien inniger würde. Durch ständiges gemeinschaftliches Arbeiten wird es dem Komponisten sicher möglich sein, die Literatur zu schreiben, die der musizierende Laie braucht, wie er dem Laien helfen wird, seinen Geschmack zu bilden, seine musikalische Erziehung zu fördern und ein noch wichtigerer Faktor im Musikleben zu sein als er heute schon ist.“ (7)
1 Danuser Hermann, Neue Musik, in: MGG neu, Kassel u.a. 1997, Sp. 75ff
2 zumal weitere Begrifflichkeiten die Sachlage durchaus komplizieren: Moderne Musik, zeitgenössische Musik, neuere Musik, avantgardistische Musik
3 Schäfer Wolfgang, Der Bund deutscher Orchestervereine 1924-1928, in: 75 Jahre BDLO 1924-1999, hrsg. vom Bund Deutscher Liebhaberorchester e.V., Fürth 1999, S. 13
4 Schäfer Wolfgang, Der Bund deutscher Liebhaberorchester seit 1950, in: 75 Jahre BDLO 1924-1999, hrsg. vom Bund Deutscher Liebhaberorchester e.V., Fürth 1999, S. 45
5 Das Programmblatt findet sich als Einlage in: Das Liebhaberorchester 4 /1956, 3. Heft
6 Claudia Kayser-Kadereit: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit, Osnabrück 2002, S. 61
7 Paul Hindemith, ohne Titel in: Das Liebhaberorchester, 15. Jg., Heft 1/ 2, 1967, S. 8)