… tatsächlich waren auch noch Gäste aus Belgien, Irland und der Schweiz mit uns in Hamburg, um denkwürdige 100 Jahre BDLO zu feiern, wobei „denkwürdig“ auch und gerade diesen Teil der Feierlichkeiten ganz wörtlich beschreibt. Neben den großen Orchesterprojekten und den offiziellen Empfängen fand nämlich auch eine Tagung statt, die sich mit dem Zustand und der Weiterentwicklung der Amateurmusik beschäftigte. Drei Tage lang, vom 4. bis zum 6. Oktober 2024, hörten die Organisatoren der Amateurmusik und dem Thema geneigte Wissenschaftler einander zu und diskutierten miteinander. Sie machten sich Gedanken, wie sich neues Publikum und neue Orchestermitglieder gewinnen lassen. Sie inspirierten sich mit Ideen für die Konzertgestaltung und mit neuen Blickwinkeln auf die gesellschaftliche Bedeutung der Amateurmusik. Diese Dimension der Amateurmusik soll hier näher beleuchtet werden, weil sie für uns wenig alltäglich und doch von entscheidender Bedeutung ist. Zuvor erfolgt ein kurzer Blick auf die vertrauten Dimensionen.
Eine weitere Dimension ist die Organisation. Das Probenwochenende wirft Fragen auf, von der Terminfindung bis zum Probenort. Wie kommen wir dorthin? Schmeckt das Essen dort, gefällt uns die Akustik?
Ebenso regelmäßig ist eine Mitgliederversammlung fällig. Werden wir einen neuen Schatzmeister finden? Wird es wieder hitzige Diskussionen um die Dirigentin geben? Hoffentlich sind wir früh fertig und können den Abend noch gemütlich in der Kneipe ausklingen lassen.
Und die Konzerte erst! Wer unterstützt uns beim Kartenvorverkauf? Die Saalmiete ist ganz schön teuer geworden. Wird das Programm gut ankommen? Gut, dass wir Unterstützung von der Notenbibliothek bekommen.
Und dann gibt es da noch das Gespräch.
Das Gespräch in den Probenpausen (und manchmal auch mitten in der Probe, pssst!) reicht von Frotzeleien zwischen den Instrumentengruppen über akute Konzertängste bis zum vertrauensvollen Herzausschütten beim Pultnachbarn.
Das Gespräch bei Fortbildungen wie der BDLO-Akademie oder den Angeboten der Landesmusikakademien ist etwas formeller, aber nicht weniger interessant. Zusätzlich zum fachlichen Inhalt gibt es immer auch einen Erfahrungsaustausch.
Den äußersten Ring bildet der Austausch mit Gleichgesinnten aus anderen Weltgegenden. Nicht nur in Deutschland, sondern rund um den Globus treffen sich Menschen, um gemeinsam klassische Musik zu machen. Sie tun das einfach nur zum Vergnügen, aber mit einer solchen Ausdauer und Intensität, dass daraus nicht nur Orchester sondern auch Vereine, ja sogar Dachverbände entstehen, sodass man sich gegenseitig austauschen kann und Freunde am anderen Ende der Welt findet. Die Tagung zum Jubiläum des BDLO war sicherlich ein Höhepunkt dieses stetig geführten Gesprächs.
Die Details des internationalen Austauschs
Die eigene Erfahrung mit der verbindenden Kraft der Musik hat die Konferenz zu dem Titel „Gesellschaften harmonisieren“ inspiriert. Der bewusst gewählte Plural deutet sowohl die gesellschaftliche Vielfältigkeit an, als auch das Bedürfnis, etwas für den Erhalt des Zusammenlebens tun zu wollen. Tatsächlich bestand hierüber bei allen der knapp 30 Teilnehmern Einigkeit, es gab keine streitigen Positionen. Die Einigkeit wurde sogar noch gestärkt, weil die Vorträge und die Diskussionsergebnisse die gesellschaftsbildende Fähigkeit der Amateurmusik bestätigten. Vor allem aber boten sie Inspiration, diesen Anspruch und diese Verantwortung auszubauen, indem man die Konzepte von nebenan und aus Übersee in die eigenen Orchester trägt.
All das macht natürlich Arbeit, sodass damit die andere große Frage verbunden ist: Wie gewinnen wir neue Mitglieder? Aus Untersuchungen von Dr. Mareike Alscher (Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft) und Natalie Röse (Universität Kassel) geht hervor, dass die ehrenamtliche Tätigkeit im Orchester nicht selten die Grenze zwischen Freizeitbeschäftigung und unbezahltem Nebenjob überschreitet. Das nehmen diejenigen in Kauf, die darin neben der Freude am gemeinsamen Klangerlebnis vor allem die Möglichkeit, ja sogar die Verpflichtung sehen, sich für andere einzusetzen und auf diese Weise unsere Gesellschaft mitzugestalten. Zu dieser Gruppe mit einer besonders hohen Identifikation mit dem eigenen Verein zählen in der Amateurmusik oft Berufstätige mit hohem Bildungsabschluss. Was sich diese Menschen wünschen würden, ist mehr Anerkennung für ihr Engagement, und zwar vom eigenen Orchester. Wir alle sollten diese oft stillen Menschen im Blick haben, schon ein „Danke“ zeigt, dass wir ihre Leistung nicht für selbstverständlich halten, sondern den damit verbundenen Arbeitsaufwand zumindest erahnen.
Dass neue Mitglieder nicht immer junge Mitglieder sein müssen, zeigten Steven Hellemans und Jan Matthys von VLAMO (Belgien). Bei den Mitgliedsvereinigungen des „flämischen BDLO“, die auch Fanfarenzüge, Brass Bands und kirchliche Gruppen umfassen, fällt nämlich auf, dass dort die verschiedenen Altersgruppen sehr ausgewogen vertreten sind. Alt und jung musizieren selbstverständlich miteinander, auch weil lebenslanges Lernen als zentrales Thema gefördert wird. Talente werden nicht nur entdeckt, sondern auch entwickelt, und zwar im jeweils eigenen Tempo.
In diesem Zusammenhang gesellschaftlicher Verantwortlichkeit und Wirksamkeit gehört auch das Thema Nachhaltigkeit, über das uns Allin Gray von der IAYO (Irland) so unterhaltsam wie tiefgründig informiert hat. Er erinnerte daran, dass das Holz für den Instrumentenbau eine lange, nämlich drei Menschengenerationen dauernde Wachstumszeit benötigt. Darum ist es wichtig, dass auch schon Anfänger-Instrumente aus nachhaltig angebautem Holz gemacht sind und gerade auch Kindern die Bedeutung der Instrumentenpflege deutlich gemacht wird. So begreifen sie, wie wertvoll die Ressource Holz und damit ihr Instrument ist – und dass sie selbst etwas zum Umweltschutz und dem Erhalt ihres Instruments tun können. In Schottland gibt es ein Geigenbau-Projekt, bei dem für jeden verwendeten Baum ein neuer Baum nachgepflanzt wird.
Unmittelbar um die internationale Zusammenarbeit in der Amateurmusik ging es in den Beiträgen von Prof. Dr. Harald Herresthal (Norwegische Musikhochschule Oslo), der norwegisch-deutsche Kooperationsprojekte vorstellte und von Makoto Sekioka von der JAO (Japan). Dieser „japanische BDLO“ existiert seit 1972 und umfasst heute mehr als 130 Mitgliedsorchester, die alljährlich zum Sommerfestival mit internationalen Gästen einladen und in der Jugendarbeit u.a. dadurch erfolgreich sind, dass sie zunehmend auch Zeitgenössisches z.B. von Takemitsu spielen.
Stephan Matter, Johannes Reinhard, Joel Mähne (Schweiz) berichteten davon, wie selbstverständlich ehrenamtliche Tätigkeiten in der Schweiz sind. Es ist üblich, in mehreren Ehrenämtern gleichzeitig aktiv zu sein. Dieses Engagement wird dadurch erleichtert, dass Vereinsgründungen einfacher (oder gar nicht erforderlich) sind und es mehr und leichter abrufbare Fördergelder gibt.
Dieses Gespräch, dieser internationale Austausch fand unter der gastfreundlichen und herzlichen Leitung von Helge Lorenz, dem Präsidenten des BDLO, statt. Dabei wurde die grundlegende Bedeutung dieser äußersten Dimension der Amateurmusik klar. Sie dient der Selbstvergewisserung: Das gemeinsame Musizieren ist uns ein heiliger Ernst und eine große Freude.