Im Jahr 2016 hatte ich einen Zettel am schwarzen Brett der Musikschule gesehen: »Stelle im Bundesfreiwilligendienst beim BDLO zu vergeben« war darauf zu lesen. Bis dahin war mir die Existenz dieses Verbandes entgangen und ich habe mich aus reiner Neugier beworben. Das war zum Glück kein Hindernis, denn ich bekam die Stelle und leistete eineinhalb Jahre Bundesfreiwilligendienst in der Notenbibliothek, wurde anschließend vertretungsweise angestellt. Gleich zu Beginn fiel mir die Festschrift von 1999 in die Hände, die zum 75-jährigen Bestehen des BDLO erschienen war. »Welch Historie!«, habe ich damals schon gedacht und voll Ehrfurcht immer wieder darin gelesen. Dr. Joachim Conradi, einer der wichtigsten Präsidenten des BDLO, hat Beeindruckendes erforscht und zusammengetragen und die Notenbibliothek entscheidend geprägt und weiterentwickelt.
Die tägliche Arbeit in der Bibliothek war praktischer Natur, aber auch hier stößt man immer wieder auf Spuren aus der Vergangenheit. Scheinbar endlose Regalmeter an Noten erzählen kleine und große Geschichten, überliefern Gefühle derer, die aus ihnen gespielt haben, enthalten Botschaften an den Pultnachbarn oder die Pultnachbarin. Es gibt viel zu schmunzeln, sofern sich die geheimen Zeichen wieder ausradieren lassen. Ich habe kopiert, gescannt, verkleinert, vergrößert, auf B4 gezogen, Striche nachgebessert, wahlweise Notenschlüssel oder Notenhälse frisch geschwärzt, geklebt und gebunden, Kisten und Päckchen gepackt. Natürlich habe ich auch Notenbestellungen bearbeitet, katalogisiert und einen großen Blockflötennotenbestand eingepflegt. Ob daraus noch bestellt wird? Ach ja, Notenbestände: Es war ein bisschen wie Weihnachten, wenn Kisten mit Notenschenkungen ankamen. Würden unter all diesen staubigen Kladden Perlen hervorkommen? Und ja, es waren welche dabei! 2016 waren sieben unscheinbare, schlecht gelagerte Kisten voller unbekannter sinfonischer Werke des 19. Jahrhunderts im Büro angekommen. Davon sollten wenigstens einige aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden. Und so entstand 2017 das Projekt Notenschätze statt Mottenkiste. An einem intensiven Probenwochenende kamen BDLO-Mitglieder aus vielen Bundesländern nach Dresden und spielten ein sehr gut besuchtes Konzert in der Lukaskirche. Ein echtes Highlight war das!
Warum ich das alles schreibe? Weil auch das zur Geschichte des BDLO gehört und ich mich freue, drei Jahre mittendrin gewesen zu sein. Seit 2019 arbeite ich beim Sächsischen Musikrat, der eine Bürogemeinschaft mit dem BDLO bildet, d.h. ich bin nur zwei Zimmer weitergezogen und sehe meine sehr vertrauten ehemaligen Kolleginnen Barbara Weidlich und Letizia Turini täglich. Quasi Tür an Tür habe ich die Geschäftigkeit der Vorbereitungen für BDLO100 hautnah miterlebt und auch ein wenig mitgefiebert. Als »Ehemalige« durfte ich dann in Hamburg mit dabei sein beim großen Familientreffen. Ja, ich habe es genau so empfunden: als die Zusammenkunft einer Großfamilie, die ein rauschendes Fest akribisch vorbereitet hat, dann aber improvisieren muss, weil manches anders kam als gedacht. Spontanität schweißt zusammen und wirkt authentisch: Der große BDLO mit all seinen Mitgliedorchestern und ausländischen Verbandspartnern hat es geschafft, aus einzelnen Steinchen, sprich vielen verschiedenen Beteiligten, ein wunderbar buntes, handgefertigtes und damit umso kostbareres Mosaik zu kreieren. Es war Teamwork: Lokalmatador Wulf Hilbert hat mit seinen langjährigen guten Beziehungen und viel Herzblut vor Ort organisiert und mit der Elbphilharmonie einen märchenhaften Konzertort ermöglicht. So wurde erst der Senatssempfang im ehrwürdigen Rathaus und dann das abendliche Festkonzert in der Elbphilharmonie zum Höhepunkt des Jubiläums und bildete beispielhaft die Vielfalt des BDLO ab.