Einladung
Seit Januar 2017 ist die Elbphilharmonie in Hamburg – liebevoll Elphi genannt – der neue ikonische Konzertsaal in Deutschland. Der Publikumsandrang ist riesig, Karten sind schnell ausgebucht und kaum verfügbar.
Und dann kommt die Einladung des BDLO zum Festkonzert des Bundesamateurorchesters anlässlich des 100-jährigen Jubiläums in der Elbphilharmonie mit zwei unbekannten, aber interessant klingenden Werken: Florian Poser und sein Gewinnerwerk des BDLO-Kompositionswettbewerbs ‚Capriccio ad iubilaeum‘ und die Sinfonie fis-Moll von Dora Pejačević. Da will ich dabei sein.
Zulassung
Doch zuerst gilt es, die Zulassungshürde zu überspringen. „Lass es sein!“, postuliert der Teufel auf meiner linken Schulter. „Dieses Projektorchester hat eh seine Stammbesetzung, da kommst du nicht rein. Außerdem musst du ein Probespiel bestehen.“ Da protestiert der Engel auf meiner rechten Schulter: „Udo, probiere es. Der BDLO wünscht sich eine bunte Mischung aus Stammkräften und Neulingen, jung und alt, Nord, Süd, Ost und West. Und ein Probespiel ist ein fairer Wettbewerb.“
Also ran an die Bewerbung. Einige Bläserstimmen erfordern eine Audioaufnahme von vorgegebenen Solostellen, bei anderen genügt ein Konzertmitschnitt, bei dem man mitgespielt hat. Wie die Orchesterauswahlkommission aus meiner eingereichten Aufnahme herausgehört hat, dass ich der Passende bin, ist hohe Kunst. Danke, ich bekomme eine Zusage.
Als wir dann während der Probephase abends beim Bier zusammensitzen, erzählen einige Mitspieler vom Kampf des Engels: „Probier es noch einmal!“ und des Teufels: „Bearbeite die Audiodatei doch digital!“ auf ihren Schultern. Es wird gemunkelt, dass es 400 Bewerbungen gab, aus denen die 100 Teilnehmer ausgewählt wurden.
Übephase
Meine Noten bekomme ich ganz klassisch in Papierform zugeschickt, auf B4 chamois – schlechte Lesbarkeit fällt als Entschuldigungsgrund für falsche Töne aus.
Zu Posers Werk gibt es – da Uraufführung – keinerlei Aufnahmen zum Kennenlernen. Meine Stimme klingt eigentlich nicht wie Jubiläumsjahr 2024, auch nicht wie Gründungsjahr 1924, sondern eher wie 1824. Erst durch das gemeinsame Spielen wird das ‚Capriccio ad iubilaeum‘ hörbar ‚Neue Musik‘. Zu Pejačević gibt es im Musikalienhandel und auf YouTube Einspielungen, die das Einstudieren erleichtern – sprich: die die Herausforderungen dieser Sinfonie deutlich werden lassen.
Eine Woche vor der Probephase erreicht mich eine motivierende Audionachricht unserer Dirigentin Judith Kubitz. Zu Pejačević sagt sie unter anderem: „Lassen Sie sich nicht abschrecken von aufkreuzenden, sperrig langen Tonfolgen – insbesondere in Begleitstimmen – und entfalten Sie ein Vergnügen an immer wechselnden Vorzeichen.“ Mit vielen Vorzeichen im Gepäck fahre ich nach Plön.
Probenphase
Jetzt geht es wirklich los. Wir treffen uns zur Probenphase in der Bildungsstätte Koppelsberg in Plön. Schon in der ersten Probe wird hörbar, dass die Engel auf den Schultern sich durchgesetzt haben: Alle Mitspielenden sind perfekt vorbereitet und wir können uns sogleich auf das gemeinsame Spielen konzentrieren.
Nach zwei Tagen intensiver Arbeit im tutti und in den Stimmgruppen fahren wir gen Hamburg. Um die Elbphilharmonie herum wimmelt es von Menschen und wir bekommen exklusiven Zugang zum Künstlereingang mit Keycards für Türen und Aufzüge – hier sind wir Künstler, keine Touristen. Die erste Probe im Kaistudio ist allerdings ernüchternd. Der grandiose Blick auf den Hafen kann die Enge des Saals nicht wettmachen. Irgendwie passen wir aber doch alle rein, wenn wir gemeinsam atmen und uns gemeinsam bewegen. Das ist für ein gemeinsames Musizieren eh hilfreich.
Am folgenden Tag dürfen wir dann in den Großen Konzertsaal. Schon das professionelle Ambiente des Backstage-Bereichs ist eindrucksvoll: Es gibt Stimmzimmer für alle Instrumentengruppen, darunter eins nur für Klarinetten und Fagotti. Die Akustik im Konzertsaal erfordert ein ‚Umhören‘: Verglichen mit den bisherigen Probenräumen sind jetzt einige Instrumente deutlich präsenter, andere weniger. Glücklicherweise ist die Probe lang genug, sich auf diesen neuen Klang einzustellen.
Konzert
Die Spannung steigt… Wir bestreiten den zweiten Teil des Festkonzerts. Vom ersten Teil mit dem Auftritt des Landesjugendorchesters Hamburg und des Norsk Ungdomssymfoniorkester bekommen wir wenig mit. Die Monitore im Backstage-Bereich übertragen zwar das Konzert, doch der Funke eines Live-Erlebnisses will nicht überspringen. Wir warten… Der erste Teil wird länger als geplant durch Grußworte und Danksagungen, die sicherlich die Bedeutung dieses Festkonzerts unterstreichen – leider hören wir sie nicht. Wir warten… Der erste Teil ist beendet und verdientermaßen umjubelt, jetzt startet der Umbau auf der Bühne: Instrumente raus, neue Instrumente rein, Stühle und Pulte rücken, Noten verteilen – „Bitte haltet die Bühnenzugänge frei und bitte nicht stören!“ Machen wir.
Dann dürfen wir endlich auftreten und werden vom Applaus der 2000 Konzertbesucher empfangen. Manch einem gelingt es, im abgedunkelten Saal seine Fans ausfindig zu machen. Bevor wir nun wirklich losspielen dürfen, gedenken Helge Lorenz und alle Anwesenden des kürzlich verstorbenen Florian Poser. Wir spielen sein ‚Capriccio ad iubilaeum‘ jubilierend und gedenkend – eine berührende Stimmung durchflutet den Saal.
Und noch ein Grußwort von Prof. Krüger, dem Präsidenten des Deutschen Musikrats. Oh ja, Grußworte können mehr sein als nette Worte. Als Martin Maria Krüger das bundesweite „Recht auf musikalische Bildung“ einfordert – regional gibt es das schon –, murmelt ein anwesendes Mitglied des Hamburger Senats: „Das wäre dann wohl meine Ausgabe.“ Hoffen wir, dass diese Botschaft angekommen ist, als überzeugte Musikliebhaber unterstützen wir sie uneingeschränkt.
Mit Dora Pejačević‘ Sinfonie fis-Moll beenden wir das Festkonzert. Nach einem langen Probentag mobilisieren wir um 22 Uhr abends noch mal alles, was in uns steckt, und präsentieren Pejačević mit Leidenschaft, mit Energie, mit Begeisterung. Der Funke springt über, unser Publikum honoriert unsere Darbietung mit jubelndem Applaus. Geschafft.
Après-Concert und Danke
Auf der Bühne müssen wir uns ja noch zurückhalten, aber dann jubeln auch wir hinter der Bühne und später im Restaurant Mama Trattoria. War das ein Erlebnis! Wir schwelgen in Erinnerungen, teilen Kontakte, Fotos und wünschen uns ein ‚Noch einmal‘.
Vielen Dank an den BDLO und das Organisationsteam.
Vielen Dank an unsere Dirigentin Judith Kubitz und an Michael, Julius, Anna-Maria, Daniel, Mirjam, Till und Felix für die Stimmgruppenarbeit.



